Zeugenschaft markiert die Schnittstelle zwischen Wissen und Vertrauen, zwischen Epistemologie und Ethik. Sei es in der Rechtsprechung, in der Geschichtsschreibung oder im Alltag: Die Zeugnisse anderer sind eine unverzichtbare Informationsquelle. Doch diese Quelle ist höchst fehlbar: Zeugen können lügen oder sich irren. Im Recht, in der Rechtspsychologie, aber auch in der Erkenntnisphilosophie ist das Zeugnis deswegen höchst umstritten. Zugleich wird dem Bezeugen, insbesondere den Zeugnissen von Überlebenden politischer Gewalt, eine wichtige ethische und gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen. Sibylle Schmidt setzt nun beide Aspekte der Zeugenschaft – ihren prekären Wert als Erkenntnisquelle und ihre ethischpolitische Dimension – in einen Zusammenhang und versteht sie als eine Form epistemischer Kooperation, die ethisch fundiert ist.
Die Philosophie thematisiert das Phänomen der Zeugenschaft unter zwei grundverschiedenen Gesichtspunkten: Die Epistemologie der Zeugenschaft fragt danach, ob Zeugniswissen tatsächlich den Status eines Wissens hat, und wie unser Vertrauen in die Worte anderer rational gerechtfertigt werden kann. Der zweite Diskursstrang fragt nach der Mitteilbarkeit von traumatischen Erfahrungen und nach der ethisch-politischen Bedeutung des Bezeugens. Bislang ignorieren sich beide Diskurse weitgehend.
Ethik und Episteme der Zeugenschaft setzt beide Ansätze in einen Zusammenhang und fragt nach Erkenntniswert und Ethik des Zeugnisses. Zeugenschaft, so die These, ist eine genuin soziale Wissenspraxis, die für unser Denken und Lernen von fundamentaler Bedeutung ist. Sprecher und Hörer spielen darin gleichermaßen eine konstitutive Rolle: Der Zeuge verbürgt die Wahrheit des Gesagten durch die Wahrhaftigkeit seiner Person. Das Annehmen eines Zeugnisses wiederum bedeutet einen Akt des Vertrauens mit ethischen und politischen Implikationen.