
Philipp Kohl
Ferne Enden
Tiefenzeit in Literatur und Wissenschaft vom Russischen Imperium bis zur Sowjetunion
Man schätzt die russische Literatur für die Schilderungen eines gewaltigen geographischen Raums. Weniger bekannt ist hingegen ihre Beschäftigung mit der ungeheuren Länge der Zeit. Literatur wie Wissenschaft im Russischen Imperium und in der Sowjetunion verorteten die sogenannte Tiefenzeit nicht nur in den Diskursen von Geologie und Paläontologie, sondern auch in der Anthropologie und Thermodynamik, in denen der Mensch seine fernen Anfänge und Enden erkennt.
Philipp Kohls Buch zeigt, auf welche Weise Literatur und Wissenschaft sich der Fiktion bedienen, um abstrakte naturgeschichtliche Zeiträume zu veranschaulichen. Es geht den radikal politischen Imaginationen des Menschheitsalters unter dem Eindruck Darwins nach und zeigt anhand einer Neulektüre klassischer Werke von Gončarov, Dostoevskij und Čechov, wie sich das 19. Jahrhundert das Erkalten der Erde in ferner Zukunft ausmalt. Phantastik, Abenteuerliteratur und Populärwissenschaft führen tief ins Innere der Erde und ihrer Vergangenheit. Anhand der sowjetischen Gattung des Produktionsromans um 1930 demonstriert Ferne Enden schließlich, wie die Literatur des sozialistischen Aufbaus die Erdgeschichte umschreibt – und ihr »Geooptimismus« (Gor’kij) jenes vom Menschen geprägte Zeitalter vorbereitet, das heute Anthropozän genannt wird.